Jeder macht im Leben Erfahrungen, die es sich weiterzugeben lohnt. Doch die eigene Lebensgeschichte in einer Rede zu erzählen ist gar nicht so einfach. Manch einer fragt sich vielleicht, ob er wirklich so viel von sich preisgeben soll oder ob das Publikum die eigene Geschichte überhaupt interessiert. Die Sorgen sind auch gar nicht unbegründet.

Mir erging es einmal so, also ich in einer Rede erzählte, wie ich mein Brautkleid gekauft habe. Zunächst baute ich einen Spannungsbogen auf und blickte in lauter erwartungsvolle Gesichter. Doch dann war meine Rede plötzlich zu Ende und die Spannung verpuffte. Es fehlte dem Ganzen eine “Moral von der Geschicht”, eine gewisse Tiefe, etwas Bleibendes für das Publikum.

Seitdem habe ich viele Reden mit persönlichen Geschichten gehört; manche haben mich angesprochen, manche nicht. Aber ich kann sagen, dass die Reden, die mir am stärksten in Erinnerung geblieben sind und die mich am meisten mitgerissen haben, auf der Lebensgeschichte der Rednerin oder des Redners beruhten. Es liegt eine große Chance darin, mit unserer persönlichen Erfahrung zu überzeugen. Wie kann das gelingen?

Nach meiner Beobachtung ist vor allem eines wichtig: die Geschichte muss passen. Betrachten wir sie als Material, dass die Botschaft unserer Rede unterstützt. Wie etwa bei einem Diagramm, dass eine statistische Aussage verdeutlicht,  muss auch bei der Lebensgeschichte die Aussage gut erkennbar sein. Das heißt, dass die Geschichte auf den Punkt hin erzählt werden muss. Was zum Thema gehört wird ausführlich dargestellt und was dafür keine Relevanz hat, wird besser aussortiert. Ein guter Präsentator erklärt bei einem Diagramm, was darauf zu sehen ist und welche Schlussfolgerungen daraus zu ziehen sind. Genau das hilft auch bei einer Geschichte aus dem eigenen Leben: nochmal direkt zu sagen, warum wir sie erzählen, was wir daraus gelernt haben und was das Publikum mitnehmen kann.

Ein schönes Beispiel ist Alexanders Rede „Statt zu jammern sing ich den Blues“. Eigentlich ist es seine Lebensgeschichte, aber tatsächlich geht es nicht um ihn, sondern um das Publikum. Dem Publikum schenkt er ein Stück Lebensweisheit: „Schaut lieber darauf, was ihr könnt, als darüber zu jammern, was nicht geht!“ Hier wird die eigene Geschichte zum kraftvollen Argument. Wer wollte seinen Appell abtun und sagen „jaja, das Singen ist ja ganz nett, aber bei meinen großen Problemen hilft das nichts“? Menschen inspiriert es, jemanden zu sehen, der nicht darüber jammert, dass er nicht mehr Tennis spielen kann, sondern sich beim Rollstuhl-Basketball engagiert. Die persönliche Erfahrung verleiht hier Glaubwürdigkeit und unterstützt die Botschaft ans Publikum wunderbar.

Solch persönliches Redematerial lässt sich auch gezielt entwickeln. In ihrem Buch „Persuasive Presentations“ empfiehlt Nancy Duarte, sich ein „Inventory of Personal Stories“ anzulegen. Sie liefert eine umfangreiche Liste von Lebensbereichen, bei denen man auf die Suche gehen kann: von wichtigen Zeiten im Leben über wichtige Menschen und Orte bis hin zu „Dingen, die einen verletzt haben“.Interessant ist, dass sie empfiehlt, nicht nur die Begebenheit aufzuschreiben, sondern sich an die Gefühle in der Situation zu erinnern, um später das Material stimmig in Reden einfügen zu können.

Wer noch keine Sammlung angelegt hat, kann trotzdem in den eigenen Erinnerungen suchen. Ähnlich gehe ich vor, wenn ich eine Rede mit unbestimmtem Auftrag halten soll. Dann frage ich mich zunächst: „Was ist gerade wichtig in meinem Leben? Was habe ich in letzter Zeit gelernt? Was hat sich entwickelt? Was war schwierig? Wofür bin ich dankbar?“ Daraus versuche ich ein Redethema von Bedeutung zu entwickeln, dass ich dann mit eigenen Geschichten oder anderem Material ausführen kann.

Vielleicht werde ich die Geschichte vom Brautkleid noch einmal in einer Rede verwenden, aber dann mit einem anderen Schwerpunkt. Es ist nämlich auch eine Geschichte von unglaublicher Gastfreundschaft: es war in Bulgarien und die ganze Familie unserer bulgarischen Freundin kümmerte sich liebevoll, obwohl wir keine gemeinsame Sprache hatten. Oder eine Geschichte von Vertrauen und sich aufeinander einlassen in der Partnerschaft, denn ich wusste bis zum Vorabend nichts davon, dass wir in einen Ort fuhren, in dem ein Geschäft für Brautmode neben dem anderen war.  Anders gerahmt und besser darauf ausgerichtet, was das Publikum davon hat, kann diese Geschichte durchaus nochmal zur Geltung kommen.

Es ist immer ein Risiko, wirklich Wichtiges aus dem eigenen Leben auf der Bühne zu erzählen. Ich mache mich angreifbar und verletzlich. Vielleicht werde ich in gelangweilte oder peinlich berührte Gesichter schauen. Doch genauso (und viel wahrscheinlicher?) kann es sein, dass ich in begeisterte oder angerührte Gesichter schaue. Ich denke, wir haben mehr zu gewinnen als zu verlieren.  Die Chance ist groß, mit der persönlichen Geschichte einer wichtigen Botschaft Glaubwürdigkeit zu verleihen und Menschen wirklich zu bewegen.